Max Ebbinghaus berichtet (Mai 2001)

… aus Valleyfield, Québec
6. Mai 2001

Hallo zusammen!

Nachdem ich letzte Woche ja nicht geschrieben habe, fuehle ich mich jetzt mal wieder verpflichtet, ein Lebenszeichen von mir zu geben. Also: Ich lebe noch!

Vorletzte Woche in der Schule gab es ein »Ehrenfruehstueck« fuer die Schueler, die eine bestimmte Menge von Méritas (diese Teile, die man fuer gute Noten bekommt) gesammelt haben. Ich habe also am Morgen nichts gefruehstueckt, da mir die anderen erzaehlt haben, dass es in den letzten Jahren immer ein tolles Fruehstueck war mit Eiern, Speck und Toasts und einfach allem, was man wollte. Voller Vorfreude in der Schule angekommen, merkte ich dann, dass die Caféteria (Aramark) fuers Fruehstueck sorgt. So gab es dann zwei Waffeln, die eher nach Pappa schmeckten und auch so aussahen, mit einer undefinierbaren Fluessigkeit, die Sirup sein sollte. Aber was soll man auch erwarten! Wenigstens wird hier etwas getan fuer die Schueler, die gute Leistung zeigen. Der Wille zaehlt ja bekanntlich.

Themawechsel. Am 15. Mai ist in Kanada Volkszaehlung. Das bedeutet, dass diese Woche ein kleiner Umschlag bei uns rein flog, in dem es 51 (!!!) Fragen zu den Hausbewohnern zu beantworten gibt. Und das waren Fragen... So ungefaehr: »Wie hiess Ihr Schulbusfahrer, als Sie in der ersten Klasse waren?« Wir hatten auf jeden Fall unseren Spass mit den Fragen, aber es hat schon den Abend zeitlich ausgefuellt. Allerdings muss man sagen, dass wir »Glueck« hatten, denn es bekommt eins von sechs Haeusern diesen detaillierten Fragebogen. Die anderen haben ungefaehr nur Name, Alter, Adresse und Nationalitaet. Wie sieht das eigentlich in Deutschland aus? Ist da nicht auch mal wieder eine Volkszaehlung faellig? Seit Beginn der letzten Woche ist hier der Sommer ausgebrochen. Aber richtiger Sommer mit 28 Grad und 85% Luftfeuchtigkeit. Ein Riesenspass, vor allem weil die Schule immer noch kein Geld fuer die Klimaanlage hat. Also schwitzen wir jetzt wie bescheuert.

Aber ich will mich ja nicht ueber das schoene Wetter beklagen. Am 1. Mai konnte ich es aber nicht so wie Ihr geniessen, da hier doch wirklich am Tag der Arbeit gearbeitet wird. Welche Logik! Auf jeden Fall hatten wir Schule und es gab ueberhaupt keine Feier oder sonst irgendwas. Dafuer hatten wir Freitag frei, beweglicher Ferientag. Donnerstagabend war bei uns an der Schule Tag der offenen Tuer, fuer die Schueler und Eltern, die ab dem naechsten Jahr zur Schulgemeinschaft gehoeren werden. Und da unser Lieblingsphysik- und TMSlehrer meinte, dass wir doch alle unser Projekt praesentieren muessten, durften wir dann unseren Donnerstagabend in der Schule verbringen, um den »interessierten« (wer’s glaubt!) Eltern zu erzaehlen, warum Goldfische schneller atmen, wenn man ihnen Kaffein gibt.

Dazu ist anzumerken, dass wir natuerlich die Fische praesentiert haben, unter Kaffeineinfluss. Und aufgrund des grossen Menschenauflaufs und der Droge ist uns ein Fisch vor Publikum gestorben. Wir waren gerade dabei ein bisschen von dem Experiment zu erzaehlen, als die Frau dann fragte: »Ist das denn normal, dass die unter Kaffeineinfluss mit dem Bauch nach oben schwimmen?« Nun, ja. Aber das war der einzige Tote im Verlauf unserer Versuchsreihe. Eine der Muetter, die unsere Projekte angeschaut hat, war eine gebuertige Deutsche und dann haben wir natuerlich Deutsch geredet, aber das war wirklich nicht einfach fuer mich. Ich war umgeben von Leuten, die Franzoesisch sprechen und eigentlich eingestellt Franzoesisch zu denken und dann verlangt man auf einmal von mir, Deutsch zu sprechen. Das war wirklich nicht einfach.

Donnerstag morgen in der Schule hatten wir unser grosses Franzoesischexamen, dass fuer 50% der Jahresnote in schriftlicher Produktion zaehlt. Ein argumentativer (richtiges Wort?) Text war angesagt und ich denke, dass es ganz gut geklappt hat. Stellen genetisch veraenderte Lebensmittel eine Wohltat fuer die Menschheit dar? Da das Jahr immer weiter voran schreitet, haben auch immer mehr Freunde ihren Fuehrerschein und so sind wir gestern nach Montréal gefahren, um ein wenig zu shoppen und sonst was zu machen. So sieht’s aus. Ich vertroeste Euch jetzt bis naechste Woche. Bis dann,

éMAX



-- »Reduce to the éMAX!«

 

20. Mai 2001

Hallo zusammen!

Es gibt also wieder einmal eine Nachricht aus dem bitterkalten, schneeweissen Kanada. Nein, nur ein Witz, bei uns ist genau so der Sommer ausgebrochen wie bei Euch und wir geniessen das schoene Wetter in allen Zuegen, wo doch sogar unser Pool schon schwimmfertig ist. Mittwoch abend nach der letzten Stunde fand in der Schule die Verleihungszeremonie der Geldpreise statt. Das war zwar lang, aber wenigstens hat es sich ausgezahlt, da ich jetzt endlich wieder ein wenig Bargeld habe. ;-) Mal schauen, was ich damit anfange. Ich habe meine Familie gestern Abend dann auch erst einmal zum Essen ausgefuehrt.

Es ist zwar bereits Sonntag, aber ich habe noch zwei weitere Tage Wochenende. Das erzaehle ich nicht nur, damit ich Euch aergern kann, sondern der Grund fuer diesen Feiertag lohnt die Lesezeit. Es ist naemlich der 21. Mai und ganz Kanada feiert den »Tag der Koenigin«. Ganz Kanada? Nein, eine von unbeugsamen Frankokanadiern bevoelkerte Provinz wagt es, dem anglophonen Einfluss Einhalt zu gebieten und den Tag innerhalb der Provinz in »Tag des Dollard« umzubenennen, nur damit man nicht die englische Koenigin feiern muss. So weit noch nicht so schlimm, schon verstaendlich, die wollen hier ja immer alles anders machen, aus Opposition.

Aber der Witz an der Sache kommt, wenn man weiss, wer dieser Dollard war. Das war naemlich ein Frankokanadier, der zur Kolonialzeit bei der Invasion der Englaender gegen eben diese gekaempft hat. Und unser Dollard war so ein schlaues Kerlchen, dass er sich mit einer selbst gebauten Bombe, die fuer die Englaender bestimmt war, selbst in die Luft gesprengt hat, da er sie gegen einen Baum geworfen hat und die Bombe von dort zurueck kam. EIN HELD!!! Also, ganz ehrlich, als Frankokanadier wuerde ich eher die Koenigin feiern als so einen Volltrottel. Erleichternde Umstaende: Es wird gesagt, dass Dollard ein Saeufer war und somit nicht nuechtern war, als er die Bombe geworfen hat. So viel zu Frankokanadischen Volkshelden...

Samstag haben wir unseren Abschlussball. In der Schule dreht es sich jetzt schon seit Wochen um nichts anderes mehr. Ich bin ja mal ganz gespannt. Wird bestimmt interessant. Bei uns an der Schule gibt es einen unausgesprochenen Wettbewerb, wer mit dem originellsten Gefaehrt beim Ball vorfaehrt. Vielleicht bekommen wir einen Krankenwagen, aber das sieht eher nicht so gut aus. Dann werden wir wahrscheinlich auf einen Porsche oder ein »normales« Auto angewiesen sein. Andere haben sich das Auto Fred Feuersteins nachgebaut oder kommen in einem grossen Feuerwehr-Truck. Wird bestimmt cool.

Und nach dem Ball haben wir natuerlich noch Afterprom-Party. Da gehen wir hier in der Naehe zelten und die halbe Schule wird da sein und das wird bestimmt eine mordsmaessig coole Party. Hoffe ich zumindest. Ich schreibe Euch dann nachher. Ach ja, ich hatte ja ganz vergessen, Freitag werde ich den zweiten Teil meiner Geldpreise bekommen. Dieses Mal von einer Gesellschaft, die sich hier fuer den Erhalt der franzoesischen Sprache und Kultur einsetzt. Die ist somit ultra-separatistisch und die Preisgewinner sind eingeladen zu einer Veranstaltung von denen. Wir muessen sogar ein paar Dankesworte sagen, so wie bei den Oskars. (»First of all, I wanna thank God...«) Welch ein Spass, ich ueberlege nur, ob ich sagen soll, dass ich allen Kanadiern oder allen Québécois fuer ihren netten Empfang und so weiter danke. Das macht hier einen riesigen Unterschied und wenn ich »Kanadiern« werde, riskieren ich wohl boese Blicke. Mal schauen, ob ich es wagen werde, Lust haette ich ja schon.

Dann bis zum naechsten Mal,

éMAX



-- »Reduce to the éMAX!«

 

30. Mai 2001

Hallo zusammen!

Jetzt werde ich mal die zwei Minuten Zeit, die ich eventuell gerade habe, nehmen, damit ich mal wieder eine kleine Geschichte aus meinem Leben loswerden kann. Ich weiss ja auch gar nicht, ob ich diese Mail hier heute fertig bekomme, bin in letzter Zeit einfach total ausgebucht. Das Jahr naehert sich halt seinem Ende und da moechte ich dann doch noch aus vollen Zuegen geniessen. Ich entschuldige mich also, wenn es mehrere Tage dauert, bis meine Antwortmail bei Euch reinkommt. Wenn Ihr lang genug wartet, werdet Ihr auch gleich direkt mit mir sprechen koennen. ;-)

Was gibt es zu erzaehlen? Wie ich letzte Woche erzaehlt habe, hatten wir Montag und Dienstag frei und somit war die Schulwoche auf drei Tage beschraenkt. (Ueber Himmelfahrt hatten wir leider Unterricht!) Da Samstag der Abschlussball mit Graduation war, gab es in der Schule auch dann seit Mittwoch kein anderes Gespraechsthema mehr und es wuerde mich wundern, wenn am Freitag vor dem Ball noch ueberhaupt ein Satz gesprochen wurde, in dem das Wort »Ball« nicht vorkam.

Aber bevor ich jetzt auf den Ball eingehe, will ich doch noch ein paar Saetze zur Preisverleihung der Société Saint-Jean-Baptiste los werden. Diese Société ist halt eine Vereinigung fuer alle Frankokanadier, damit sie sich vereinen und sozusagen gemeinsam stark sind. Mit anderen Worten, sie sind ultraseparatistisch. In meiner Mail der letzten Woche, habe ich ja Ueberlegungen angestellt, die Leute da zu aergern, aber das wollte ich nicht auf boese Weise machen. Ich hatte einfach nur die Moeglichkeit ein paar Dankesworte zu sagen und war mir jetzt nur nicht sicher, ob ich den Québécois oder lieber den Kanadiern danken sollte. Persoenlich empfinde ich mehr Dankesgefuehle gegenueber Kanada als ganzem Land, aber ich wusste ja genau, dass die das nicht moegen wuerden. Ich komme zur Preisverleihung mit meinem Gastvater Gilles in dem Saal an und die Dekoration im Saal war unglaublich, das muss man gesehen haben, um es zu glauben: Ich schaetze, dass ungefaehr zwei Québec-Fahnen pro Quadratmeter aufgehaengt, aufgeklebt oder aufgestellt waren. Da blieb mir dann ja eigentlich keine Wahl mehr, als den Québécois zu danken. Das habe ich dann auch gemacht und alle Anwesenden haben ganz stolz applaudiert, dass ich mich so lieb bei ihnen bedankte.

Kommen wir zurueck zum Ball. Unglaublich, was fuer einen Aufwand damit betreiben kann. Ich muss ja sagen, dass ich ein wenig weniger Probleme hatte, da ich bereits meinen Anzug aus Deutschland mitgebracht hatte und mich als Junge somit auch nicht weiter vorbereiten musste. Aber die Maedchen hatten in der Woche davor ihre Termine beim Friseur und der Esthéticienne (ich kenne das deutsche Wort gerade nicht, die kuemmert sich um die Manikuere und das Make-Up und so), um alles auszuprobieren. Die Ballkleider fuer mehrere hunderte von Dollarn haengen natuerlich schon seit Monaten im Schrank. Samstag morgen hiess es dann auch fuer die Maedchen frueh aufstehen und ab zum Friseur zur Esthéticienne und Ballkleid an und ja nicht zu gestresst sein. Ich habe ausgeschlafen und mich dann eine halbe Stunde vorher fertig gemacht. Welch Glueck, dass ich noch zu Hause gemerkt habe, dass ein Knopf dabei war, sich abzuloesen!

Um halb fuenf hatten wir einen Avant-Bal bei meiner Begleitung. Ihre Eltern hatten alle moeglichen Leute eingeladen und ein grosses kaltes Buffet vorbereitet, da es beim Ball erst um Mitternacht was zu Essen geben sollte. Da wurden dann also schon lange Fotosessions gehalten und gegessen, wobei man immer teuflisch aufpassen musste, nicht sein Kleid oder seinen Anzug zu bekleckern. Natuerlich, habe ich es wieder geschafft, mir einen Flecken auf mein Kleid zu schmieren. Er war allerdings nicht sehr deutlich sichtbar und viel also gar nicht auf, ausserdem war er ganz klein. Gegen viertel nach sechs machten sich dann alle Ballpaare auf in Richtung Schule. Hier ist es ein unausgesprochener Wettbewerb, wer mit dem originellsten Gefaehrt an der Schule vorfaehrt. Und wir sind nicht mit einem Krankenwagen gekommen, auch nicht mit einem Feuerwehrwagen. Nein, wir haben das Auto Fred Feuersteins genommen. Das ganze war auf einem Anhaenger montiert und wurde von einem Auto gezogen. War wirklich supergenial. Die Strasse, die zur Schule fuehrte, war natuerlich total blockiert und somit hat es einige Zeit gedauert, bis wir endlich ankamen. (Dabei sei am Rande angemerkt, dass der Regen puenktlich zur Anfahrt zum Ball einsetzte.) Aber es war unglaublich das zu sehen. Vor den Haeusern waren ganze Familien mit Tischen und Stuehlen platziert, um sich die vorbeifahrenden Gefaehrte anzugucken. Und da haben wir schon Applaus von allen Seiten geerntet, aber als wir an der Schule ankam, hat wirklich die ganze Menschenmenge, die wartete applaudiert. (Wir haben von anderen erfahren, dass kein anderes Gefaehrt applaudiert wurde. WOW!) War ein tolles Gefuehl. Auf dem roten Teppich wartete dann aber noch das Fernsehen, das jedes Paar interviewt hat. In der Schule war alles supergenial geschmueckt und es hatte wirklich alles total viel Stil und ich finde es einfach nur unglaublich, was das Ballkomitee da geleistet hat. Der Ball fand in der Turnhalle statt, die auch nicht mehr als solche zu erkennen war. Wirklich unglaublich. Und alle, die da waren, waren supergut gekleidet und es war wirklich zu schoen, das zu sehen.

Ich nehme die Mail jetzt wieder auf, da ich nach dem letzten Satz eine 24-stuendige Pause eingelegt habe. Wo waren wir? Ach ja, der Ball beginnt. Es war wirklich zu cool. Die Turnhalle war komplett geschmueckt und es gab Musik vom Orchester aber auch vom DJ und so wurde richtig getanzt. Natuerlich gab es auch noch die Diplomverleihung, wobei das keine Diplome waren, sondern nur wertvolle Texte, die uns auf unseren Lebenswegen begleiten sollen. Ihr wisst schon, was ich meine. Der Abend ging halt mit Tanz, Essen und Fotos weiter und auch zu Ende. Nach dem Ball, so gegen 1 Uhr, sind dann alle schnell nach Hause, um sich umzuziehen und dann ging es auf in Richtung Après-Bal, der auf einem Campingplatz stattfinden sollte. Der Witz war, dass es immer noch regnete. Aber ansonsten hatten wir eine lustige Partynacht mit viel Luftfeuchtigkeit und Wasser in den Zelten. Am Tag darauf habe ich erstmal meinen fehlenden Schlaf nachgeholt und mich bereits um 8 Uhr ins Bett gelegt.

Das war also mein Ball in Québec. Ist schon eine Erfahrung wert. Ich hoffe, dass Euch der Bericht gefallen hat, uns wo er sogar anderthalb Seiten lang ist, entschaedigt das doch schon mal dafuer, dass ich nicht mehr so haeufig antworte, oder?

Macht’s gut,

éMAX



-- »Reduce to the éMAX!«

 

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Stand: 04.06.2001
Artur Weinhold

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