Zum Gedenken an
Frau Kraemer

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Frau Kraemer trat über einen Umweg in das Leben unserer Familie. Sie war »nur« die Geschichtslehrerin unserer Tochter. Doch immer häufiger fielen die Worte: »Frau Kraemer hat gesagt...« oder »Mit Frau Kraemer haben wir ... gemacht.« Sie war kein Leichtgewicht, sie gab uns schwere Kost und hat unsere Gespräche angeregt. Selbst Urlaubsfahrten und Wochenendausflüge wurden zu Kraemer-Exkursionen, denn wenn wir schon mal in der Nähe waren, konnten wir uns ja auch dieses oder jenes ansehen, was unsere Tochter aus dem Unterricht mitbrachte. Sie hielt uns auf Trab. Ihre Stärke war die Kontroverse. Und sie hat uns gemahnt: »Ihr müsst gemein denken!« – Ihr Tod hat uns sehr betroffen. Wir hatten ihr noch viele schöne Jahre gewünscht mit Zeit für Dinge, die ihr wichtig waren.

Ilka Arndt (Schülermutter)

 
 

Frau Kraemer ist tot.

Dies habe ich erfahren, vor wenigen Tagen – im Internet. Merkwürdig ist nicht nur der Weg, es zu erfahren, merkwürdig ist vor allem, daß es berührt. Ich hatte bei Frau Kraemer – ich weiß nicht einmal genau, wie lange – Unterricht im Fach Philosophie. Dies verpflichtet nicht zur Anteilnahme. Viele Lehrer sind mir, genauso wie viele andere Menschen, in meinem Leben begegnet, von deren Tod zu erfahren mich nicht berühren würde. Warum ist es bei einigen, warum ist es bei Frau Kraemer anders?

Der Grund ist wohl darin zu suchen, daß Frau Kraemer, auch wenn einige das anders sehen mögen, nach meiner Ansicht eine ideale Lehrerin war. Eine ideale Lehrerin ist der Mensch, der zuerst einmal selbst Mensch ist und den Anderen es auch sein läßt. Dies ist nicht nur an einer Schule schwer zu finden. Frau Kraemer ist uns Schülern immer als Mensch entgegen getreten. Sie hat sich nicht versteckt hinter Unterrichtsstoff und Hierarchie. Dies müssen nur Menschen, die als Menschen Gefahr laufen, als zu leicht befunden zu werden. Daß sie dies nie fürchten mußte, machte Frau Kraemer zu einem interessanten Menschen und damit zu einer guten Lehrerin.

Josef Kainz hat einmal gesagt, den Hamlet könne nur ein ernsthafter Mensch spielen, und ein ernsthafter Mensch werde nicht Schauspieler. Das gleiche Problem trifft auf den Beruf des Lehrers zu. Von ihrem Lehrer lernen und können die Schüler nur lernen, daß man im Leben gerade immer nur soviel können soll, wie man braucht, damit man eine Stelle in der Gesellschaft bekommt, an der man sich endlich für nichts mehr interessieren muß. Der Lehrer paukt ein, was er gelernt hat, um Lehrer zu werden, der Schüler lernt, um die Schule zu bestehen, damit er es dann in seinem Leben auch nicht besser macht. Frau Kraemer war da anders. Ein Lehrer sollte so sein, daß er den Schülern nicht den Stoff einpaukt, sondern so, daß er sie als Person anspricht und beeindruckt. Er muß eine Persönlichkeit sein. Nur so kann er die Schüler für das Denken und Wissen begeistern. Ein Lehrer muß Vorbild sein, indem er Wissen und das Bedürfnis nach und die Begeisterung an Wissen nicht nur von anderen verlangt, sondern selbst lebt. Frau Kraemer war der seltene Fall einer solchen Lehrerin.

Frau Kraemer hat ihre Schüler ernst genommen Ich weiß, daß es Schüler und auch Lehrer gab, denen das nicht gefiel. Allein das Wort: Ernst. Ein Unwort in einer Gesellschaft, die ihre Kinder ausbilden läßt von Lehrern, die glauben, ihre Schüler zu verstehen, weil sie früher mal die Stones gehört haben. Ernst nehmen, das heißt, an sich selbst und den Anderen die höchsten Ansprüche anzulegen. Es heißt Respekt haben vor dem eigenen Menschsein und dem des Anderen. Es heißt schlicht, den Anderen nicht schlechter sein lassen, als er sein muß. Respekt heißt natürlich auch, von niemandem mehr verlangen, als er kann. Aber auch nicht weniger. Dies kann man nur, wenn man wirklich weiß, wer einem gegenübersteht. Man muß sich als Mensch einlassen, um einen Anspruch zu entwickeln, der nicht das brutale Unterwerfen unter eine künstliche Norm ist.

Frau Kraemer verlangte und brauchte für guten Unterricht von ihren Schülern nicht mehr als Ernst und Interesse. Nicht Bemühen. Bemühen heißt nur tun, was andere fordern. Wenn Bemühen, dann nur als Ergebnis von Interesse und Offenheit. Schlicht ein Zuhören, das nicht nur ein Redenlassen, sondern ein Wahrnehmen des Gegenübers ist und dessen, was es zu erzählen hat, aus allen Gebieten des Wissens. Frau Kraemer hat von ihren Schülern das Höchste verlangt: Menschen zu sein. Deshalb bleibt sie im Gedächtnis bei all denen, denen mit ihr ein Mensch begegnet ist und die jetzt wissen, daß wieder ein Mensch auf der Welt fehlt.

Michael Schene (Abitur 1996)

 
  »To boldly go where no man has gone before…« – Erinnerungen an Frau Kraemer

Frau Kraemer – Kraemer »mit a-e, bitte« – war schon ein Phänomen, das haben die Laudatorinnen Hochrein und Haverkamp in ihrem Beitrag anlässlich der Verabschiedung ihrer langjährigen Kollegin deutlich gemacht. Manch einer würde wahrscheinlich sagen, sie sei »vom alten Schlag« gewesen, und angesichts ihrer langen Karriere an GSG und FSG trifft dies zumindest zeitlich gesehen zu. Jedoch ist der Ausdruck »vom alten Schlag sein« – auch wenn er ja meist wohlwollend als rhetorisches Schulterklopfen benutzt wird – in gewisser Weise mit den Attributen altbacken, konservativ, inflexibel verbunden… und eben dies traf auf Frau Kraemer – zumindest aus meiner Sicht – ganz und gar nicht zu.

Man nehme beispielsweise ihre Offenheit gegenüber Technik – begeistert berichtete sie von ihrem Besuch bei der DASA in Dortmund – oder gegenüber so ziemlich allem, was das Fernsehen an Sehenswertem übertrug. Davon haben nicht nur ihre Kolleginnen und Kollegen am »Stein« in Form der sagenumwobenen Videosammlung profitiert, sondern auch die Schüler – und zwar auf ganz andere Art und Weise. Dazu gilt es, etwas vorweg zu schicken: Ich will mich hier gern als Liebhaber der Science-Fiction-Fernsehserie Star Trek – Nichteingeweihten mag der Begriff »Raumschiff Enterprise« mehr sagen – bekennen. Das ist für Menschen unter 20, 30 Jahren vielleicht nichts Ungewöhnliches, bei denjenigen jenseits dieser Altersmarke trifft das Interesse für eine amerikanische TV-Serie nach einem oberflächlichen Blick meist auf Unverständnis. Nicht jedoch bei Frau Kraemer. Sie hatte bemerkt, dass im Gewand der Geschichten um Aliens und Co. philosophische Themen und gesellschaftliche Probleme wie Abtreibung, der Umgang der Gesellschaft mit älteren Menschen, Klonen, Sterbehilfe und vieles mehr verarbeitet wurde, und so wurde im Philosophieunterricht mehr als einmal angeregt die letzte Star-Trek-Folge diskutiert und in Bezug zu Kant, Hegel, Habermas und Co. gesetzt. Selbstverständlich schüttelte Sie das »klassische« Wissen über Philosophie wie nebenbei aus dem Ärmel. Nach dem Pflichtteil des Unterrichts wurden im Anschluss oder auch in den Pausen noch neueste Trends und Spekulationen aus der Welt des Fußballs diskutiert und von ihr dabei derart gefachsimpelt, dass so manchem Schüler, der etwas auf seine Fußballkenntnisse hielt, vor Staunen die Luft wegblieb.

Apropos »Wissen aus dem Ärmel schütteln« – eine Vertretungsstunde bei Frau Kraemer geriet schon mal zu einem Spektakel der besonderen Art. Da wurde in einem Geschichtskurs nach kurzem Überlegen beispielsweise eine Karte von Mitteleuropa geordert, diese aufgehängt und jemand sollte einen Punkt auf der Karte bestimmen. Zu diesem Punkt erzählt dann Frau Kraemer die Geschichte des Gebietes oder der Stadt von der Steinzeit bis zur Gegenwart, selbstredend inklusive Jahreszahlen. 45 Minuten lang surft sie durch Europas Geschichte und keiner kommt auf die Idee, darum zu betteln, Hausaufgaben für ein anderes Fach machen zu dürfen. Mit ihrem unglaublichen Detailwissen wäre sie wahrlich der wirtschaftliche Super-GAU jeder 1-Million-Euro-Quizshow gewesen, derer sie sich sicherlich aus sportlicher Fairness und weil es sie gelangweilt hätte, als Teilnehmerin und Zuschauerin enthalten hat.

Mit Frau Kraemer geht dem FSG – Schülern und auch wohl Kolleginnen und Kollegen, siehe Laudatio – und der Welt nicht nur eine unglaubliche Wissens – und Erfahrungsquelle verloren, sondern meiner persönlichen Erfahrung nach auch eine angenehme und freundliche Zeitgenossin, die Neuem gegenüber aufgeschlossen war und mich jedenfalls zu begeistern wusste, so dass ich sie in guter Erinnerung behalte.

Michael Kappelhoff (Abitur 1997)

 
 

Ich kannte Frau Kraemer aus einem Jahr Geschichte in der Oberstufe. Sie kannte fast jede Folge von Star Trek, beeindruckte durch ihr enormes Wissen und die Tatsache Unterricht ohne multimedialen Einsatz zu gestalten, der nicht langweilig, sondern wertvoll war. Als Hilfsmittel benötigte sie meistens nur ein Stück Kreide, schrieb damit Daten und Fakten aus dem Kopf an die Tafel; nur selten verteilte sie Kopien. Das FSG verliert mit Frau Kraemer ein beeindruckendes Unikat, einen Charakter.


André Lukas (Abitur 1997)

 
   

Stand: 19.05.2005
Artur Weinhold

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